Wärme aus der Ferne für die Nähe
Thermische Netze breiten sich in der Schweiz aus. Für Gemeinden bietet sich die Chance, vorbildhaft zu wirken und den Menschen eine simple Alternative zu bieten. Die Wärme kommt sozusagen aus der Cloud.
Thermische Netze breiten sich in der Schweiz aus. Für Gemeinden bietet sich die Chance, vorbildhaft zu wirken und den Menschen eine simple Alternative zu bieten. Die Wärme kommt sozusagen aus der Cloud.
Fast unbemerkt entwickelt sich im Schatten der Photovoltaik-Revolution auf den Dächern der Schweiz und aus den aufgewirbelten Diskussionen rund um Windparks eine neue, starke Kraft im künftigen Energiesystem der Schweiz: Fernwärme.
Beispielsweise im zürcherischen Fehraltorf. Die Gemeinde zählt knapp 7000 Menschen und 2900 Haushalte und lässt die Netzbetreiberin ewz den Anschluss ans Fernwärmenetz bauen. Laut einer zuvor erstellten Studie bietet die Agglomerationsgemeinde ideale Voraussetzungen für einen wirtschaftliche Versorgung mit Wärme: Sie ist dicht besiedelt und eben. Die Möglichkeiten für eigene Lösungen pro Gebäude sind zudem eingeschränkt. Für den zuständigen Gemeinderat Fritz Schmid zählt vor allem ein Argument: «Als Gemeinde wollen wir mit unseren Liegenschaften vorbildlich wirken und zudem unseren Beitrag an die Ziele des Bundes leisten», sagt er. Diese sind darauf ausgelegt, dass die Schweiz bis 2050 CO2-neutral sein wird. Ausserdem ist den Verantwortlichen der Gemeinde wichtig, den Zugang zu erneuerbarer Wärme zu vereinfachen.
Beim Ausbau der Fernwärme geht die Stadt Basel allen anderen voran. Aufgrund eines Volksentscheids ist die Abkehr von der Wärmeversorgung mit Gas beschlossene Sache, dafür kommt die Fernwärme. Das Netz wird um 60 Kilometer ausgebaut. Mit mehr als 40 Prozent Fernwärmeanteil ist Basel-Stadt bereits heute klarer Spitzenreiter. Doch andere Gemeinden und Kantone dürften in den nächsten Jahren aufholen.
Schweizweit stehen nach Angaben des Verbandes Thermische Netze Schweiz (TNS) knapp 1400 Fernwärmenetze in Betrieb, deren Wärmeabsatz soll bis 2050 verdoppelt werden. Derzeit liegt der Absatz knapp über 9 Terawattstunden (TWh). Das Potenzial beträgt laut dem Weissbuch Fernwärme Schweiz rund 18 TWh.
«Thermische Netze können nur in dicht bebauten Gebieten respektive in Gebieten mit hoher Wärmebezugsdichte wirtschaftlich betrieben werden», sagt TNS-Geschäftsführer Andreas Hurni. Er empfiehlt Gemeinden, geeignete Gebiete in einer kommunalen Energierichtplanung auszuscheiden. Mit der Ausbreitung der thermischen Netze bietet sich für die Wärme eine neue Option für das Orchestrieren eines lokalen Energiesystems.
Es entstehen Quartiere mit eigenem Energiemix wie etwa in Cham ZG. Das Papieri-Areal ist dieses Jahr mit dem Energiepreis Watt d’Or ausgezeichnet worden. Es ist zu 100 Prozent CO2-frei und zeichnet sich durch einen Eigenversorgungsgrad von 75 Prozent im Endausbau aus. Der Schlüssel ist ein hochintegriertes Energiekonzept, in dem die Wärme und Kälte via Erdsondenfelder und Flusswasser von bis zu vier Wärmepumpen erzeugt wird. Der Strom wird von einem Flusskraftwerk aus alter Industriezeit und von Photovoltaik auf den Dächern der neuen Gebäude erzeugt und in einem eigenen lokalen Verteilnetz zu den Verbrauchern geführt. Das ganze System ist als eigenes Profitcenter konzipiert. Oder anders gesagt: Die Investorin und Eigentümerin des Areals wird zur Energieversorgerin. Fast alles wird vor Ort erzeugt, was das Verteilnetz der Schweiz stark entlastet.
Meist fallen bei der Wärmeversorgung über ein thermisches Netz folgende Kostenbestandteile an, deren Höhe vom Netz, vom Betreiber und von der lokalen Situation abhängig ist. Die Bezeichnungen können sich unterscheiden.
Bereits die Römer leiteten heisses Thermalwasser für eine Bodenheizung in Gebäude. In Frankreich entstand im 14. Jahrhundert ein Wärmenetz für 40 Häuser. Die Anfänge der modernen Fernwärmeversorgung begannen in den 1870er-Jahren in den USA. 1928 entstand das erste Fernwärmenetz der Schweiz bei der 2021 stillgelegten Kehrichtverbrennungsanlage Josefstrasse in Zürich. Dieses wird nun in die Transformation der Wärmeversorgung in der Stadt Zürich mit einbezogen. Das Netz wird etappenweise bis 2037 ausgebaut und dann rund 60 Prozent des Siedlungsgebietes abdecken, als neues, integriertes Netz auf eine Leistung von 2 Terawattstunden kommen und jährlich 52000 Tonnen CO2 einsparen. Derzeit wird nur etwas weniger als die Hälfte davon produziert.
Wer seine Liegenschaft an ein bestehendes Fernwärmenetz anschliessen will, muss sich beim entsprechenden Versorger melden (erneuerbarheizen.ch). Der Versorger wird die Voraussetzungen vor Ort prüfen und bei einem genügend hohen Wärmebedarf der Liegenschaft eine Offerte für den Anschluss bis ins Haus anbieten. Die Kosten für einen Anschluss sind individuell. Allfällige Anpassungen im Gebäude gehen zulasten der Eigentümerschaft.
Wer nicht sicher ist, ob ein Fernwärmeanschluss sinnvoll ist, zieht einen Energieberater bei. Die Fachperson klärt, welcher Heizungsersatz sinnvoll ist. Wichtige Entscheidkriterien sind die Lage des Gebäudes, sein energetischer Zustand, die Platzverhältnisse innen und aussen, nötige Sicherheitsvorkehrungen und der finanzielle Horizont: eine neue Heizung ist eine langfristige Investition.
Um bis 2040 ihr Ziel zu erreichen, bis zu 40 Prozent des gesamten Energiebedarfs für Raumheizung und Warmwasser abzudecken, muss die Wärmebranche noch einige Herausforderungen meistern. So steht sie wie die Strombranche vor ernsthaften Digitalisierungsschritten. Das Fernwärmenetz muss smarter werden. Vermehrt werden nämlich verschiedene Energiequellen in einem Netz kombiniert. Es braucht somit mehr Daten, um die Quellen optimal einzusetzen, ohne die garantierte Lieferung zu beeinträchtigen. Dazu braucht es unter anderem Meteodaten und Bedarfsprognosen. Technische Optimierungen mit grossen Wärmespeichern verhindern, das bei Belastungsspitzen fossile Back-up-Systeme genutzt werden müssen. Und nicht zuletzt können smartere Fernwärmenetze zielgerichteter und somit wirtschaftlicher ausgebaut und betrieben werden.
Die Preisstabilität bezeichnen Fachpersonen bereits heute als hoch, da meistens lokale Energiequellen genutzt werden, deren Preise nicht von Energiebörsen abhängen oder von weltpolitischen Entwicklungen. Ausser vom Klima: Bereits gibt es erste Anzeichen von Energieholz-Knappheit. Der Kanton Zürich empfiehlt, den Einsatz mittels Wärmepumpen zu optimieren. Da sich eine Vielzahl von Energiequellen in thermischen Netzen kombinieren lässt, von der Abwärme aus der Kehrichtverbrennung, der Abwärme von Rechenzentren bis zur Grund-, Fluss- oder Seewasserenergie, bestehen genügend Alternativen, um preislich mit einem im Gebäude installierten konventionellen Heizsystem mitzuhalten.
Mehr als das: Thermische Netzen bieten ein «Wohlfühlpaket». Kunden müssen sich um nichts kümmern, tragen keine Risiken, sind sie einmal angeschlossen. Das kann aber unter Umständen Jahre dauern. Je früher man sich anmeldet, desto eher fällt der Entscheid für das Aufreissen der
Strassen, das Einziehen der Rohre und das Einrichten der Wärmeübergabestation im Keller.
Der Oberbegriff für Fernwärme und -kälte, Nahwärme und -kälte. Thermische Netze führen Wasser oder Dampf von einer Zentrale – mit Abwärme oder erneuerbarer Energie betrieben – über eine Stammleitung und die Hausanschlüsse via Übergabestation im Keller bis in das Heizsystem des Gebäudes. Bei kleinen Strukturen und kurzen Distanzen spricht man von Nah- oder oft auch von Quartierwärme.
Die Struktur des Netzes wird jeweils individuell unter wirtschaftlichen Aspekten geplant. Je nach Siedlungsgebiet eine komplexe Aufgaben. Der Bau thermischer Netze bedingt anfänglich grosse Investitionen, die sich aber laut Studien wie etwa im EU-Forschungsprojekt RES DHC res-dhc.com/ch langfristig rechnen.
Hochtemperaturnetze werden bei Bestandesbauten mit reduzierten Temperaturen eingesetzt, damit Abwärme und erneuerbare Wärmequellen besser genutzt werden können.
Niedertemperaturnetze sind dezentral ausgelegt, also etwa in einem Quartier. Die Temperatur liegt unter
60 Grad Celsius. In der Zentrale und oft auch vor Ort im Gebäude wird mittels Heiztechnik die Temperatur wenn nötig auf das erforderliche Niveau gebracht. Solche Netze eignen sich auch zur Kühlung.